Den meisten Menschen, die sich für Akupunktur oder Traditionelle Chinesische Medizin interessieren, sind die Haupt- bzw. Organmeridiane ein Begriff. Diese sind, wie der Name schon andeutet, den Organen zugeordnet, Die Hauptmeridiane werden häufig paarweise betrachtet (sog. Komplementärorgane): Diese sind Lunge/Dickdarm, Herz/Dünndarm, Niere/Blase, Magen/Pankreas, Leber/Gallenblase sowie Perikard/Dreifacherwärmer. Dies sind die regulären 12 Organmeridiane. Darüber hinaus gibt es noch acht Sondermeridiane, die eine wichtige Rolle spielen.
Bevor wir die Sondermeridiane und deren Funktionen betrachten, sollten Sie folgende fünf Prinzipien über Yin und Yang kennen:
Die Aspekte von Yin und Yang
Alle Dinge haben einen Yin- und einen Yang-Aspekt. Tag (Yang) und Nacht (Yin), Himmel (Yang) und Erde (Yin), etc. Damit wird klar, dass Yin und Yang nur in Relation zueinander bestehen. Auch unser Körper – der als Mikrokosmos im Makrokosmos Universum existiert – wird in Yin und Yang unterteilt: die Vorderseite ist Yin, die Rückseite Yang. die untere Körperhälfte (Bauch, Becken, etc.) ist Yin, die obere (Brust etc.) Yang. Noch weiter unterteilt ist das Körperinnere, also die Organe Yin, der äußere Teil (Haut) Yang.
Obwohl man zwischen Yin und Yang unterscheiden kann, können die beiden nicht voneinander getrennt werden. Sie erschaffen und definieren sich gegenseitig. Ohne Wärme und Kälte kann keine Temperatur bestimmt werden, ohne Höhe gäbe es keine Tiefe, ohne Licht (Freude etc.) gäbe es keinen Schatten (Trauer etc.). Yin und Yang kontrollieren und gleichen sich gegenseitig aus. Energetische Fülle (Yang) wird durch Leere (Yin) ausgeglichen, Kälte durch Wärme, etc.
Yin und Yang gleichen sich also gegenseitig aus und können durch entsprechende Maßnahmen, wie z.B. Qigong in gesunde Balance gebracht werden. Und schließlich verwandeln sich Yin und Yang ineinander, Transformation genannt, z.B. durch Ein- und Ausatmen, Aktivität und Passivität, etc… Kommen wir damit zu den Sondermeridianen:
Sondermeridiane und deren grundsätzliche Funktion
Die Sondermeridiane in der TCM sind:
Chong Mai – Durchdringungsgefäß – Thrusting Vessel
Ren Mai – Konzeptionsgefäß – Conception Vessel
Du Mai – Lenkergefäß – Governing Vessel
Dai Mai – Gürtelgefäß –Belt Vessel
Yin Qiao Mai – Yin Fersengefäß – Yin Linking Vessel
Yang Qiao Mai – Yang Fersengefäß – Yang Linking Vessel
Yin Wei Mai – Yin Verbindungsgefäß – Yin Heel Vessel
Yang Wei Mai – Yin Verbindungsgefäß – Yang Heel Vessel
Im Gegensatz zu den 12 Organmeridianen sind die Sondermeridiane keinem Organ zugeordnet. Auch gibt es keine Beziehung zwischen Innen und Außen.
Die Sondermeridiane haben keine eigenen Punkte, sondern nutzen die Kreuzungspunkte der 12 Organmeridiane. Die Fließrichtung der acht Sondermeridiane ist – mit Ausnahme des Chong Mai und Dai Mai – immer von unten nach oben. Es gibt keinen Austausch mit den oberen Körperteilen. Vier der Sondermeridiane sind Einzelmeridiane, die anderen vier treten paarweise auf.
Verlauf der Sondermeridiane
Die acht Sondermeridiane verlaufen entlang der 12 Hauptmeridiane. Ihre Aufgabe besteht darin, die Blut- und Chi-Zirkulation der Hauptmeridiane zu regulieren. Sie übernehmen eine Lagerhaltungsfunktion: Sollte ein Überschuss an Blut oder Chi in den Hauptmeridianen vorhanden sein, wird dieses in die Sondermeridiane weitergeleitet, wo die Energie eingespeichert wird, bis sie von den Organmeridianen wieder gebraucht wird.
Die Sondermeridiane teilen den Körper ich acht Bereiche auf. Der Ren Mai und der Du Mai sind für die linke und rechte Körperhälfte zuständig. Der Dai Mai teilt in die obere und untere Körperhälfte. Der Yang Qiao kontrolliert den Yang-Aspekt der linken und rechten Körperhälfte, der Yin Qiao den Yin-Aspekt der linken und rechten Körperhälfte. Der Yang Wei Mai wird genutzt zur Aufteilung des Yang-Aspektes in Vorder- und Rückseite, Ying Wei Mai teilt auf in den Yin-Aspekt der Vorder- und Rückseite des Körpers.
Zwei Ausnahmen: Ren Mai und Du Mai
Eine Ausnahme bilden das Konzeptions- und Lenkergefäß, die eigene Punkte und Namen haben, während die anderen sechs Sondermeridiane bestehende Punkte der Hauptmeridiane, die sie kreuzen, nutzen.
Konzeptionsgefäß (KG) – Ren Mai
Das Konzeptionsgefäß hat insgesamt 24 Punkte; es beginnt am Perineum (KG 1, Huiyin), also zwischen Anus und Genitalien und verläuft in der vorderen Mittellinie über Abdomen, Thorax sowie Hals und endet unter dem Mund. Den Mund umfließend sendet er Äste zu den Augenhöhlen aus. Das Konzeptionsgefäß kontrolliert das Yin im Körper, d.h. es reguliert die Blut- und Qi-Zirkulation in den Yin-Meridianen. Es wird deshalb auch oft „Der See der Yin-Meridiane“ genannt. Alle Yin-Meridiane der Hand und des Fußes treffen sich bei KG 3. Ren Mai hat somit direkten Einfluss auf folgende Meridiane:
Milz – Leber – Nieren – Dünndarm – Lunge – Perikard – Magen – Blase – Herz – Dreifacherwärmer – Gallenblase – Dickdarm.
Konzeptionsgefäß und die Frau
Der Ren Mai hat seinen Ursprung im Uterus und spielt deshalb eine besondere Rolle bei der Empfängnis; daher auch der Name „Konzeptionsgefäß“. Tatsächlich bedeutet „Ren“ Empfängnis oder Schwangerschaft, auch Verpflichtung oder Verantwortung. Es kann auch bedeutet, dass man etwas vor dem Abdomen an- oder aufnimmt. Es reguliert die Menstruation und dominiert die Fortpflanzungsorgane sowie den Fötus. So gibt es zwei Ren Mai-Typen:
- Häufig jüngere Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch, die seelisch verkrampft und gefühlskalt sind. Sie erleben eine Stagnation in ihrer Sexualität, die bereits in jungen Jahren zu Tumorbildungen und Schleimhautwucherungen führen.
- Der zweite Typ sind ältere Frauen in den Wechseljahren. Sie sind empfindlich gegen feuchte Wärme, schwitzen stark und leiden unter trockenen Schleimhäuten. Eine vermehrte Warzenbildung ist auch eine häufige Begleiterscheinung, und es kann zur Ausbildung von Myomen oder Fibromen kommen.
Ren Mai: Symptome
Das Konzeptionsgefäß reguliert die Qi-Zirkulation der Brust, unterstützt die Funktion von Milz und Magen und dient allgemein der Stärkung des Körpers. Die Punkte auf dem Konzeptionsgefäß stehen meistens in Verbindung mit dem endokrinen und Fortpflanzungssystem. Akupunktur wird auf diesen Punkten angewendet z.B. bei Problemen und Schmerzen im Abdomen, Erbrechen, Durchfall aber auch Husten, Asthma oder Halsschmerzen sowie Beschwerden entlang des Meridians. Der Ren Mai steht auch in Verbindung mit den Augen und Lippen, da er den Mund und kleine Gefäße um das Zahnfleisch umkreist und durchzieht. Er vereint sich mit dem Lenkergefäß LG 28 (Du Mai – Du 28) an der sogenannten Elsternbrücke, dort wo die Zunge den Gaumen berührt. Er stärkt das Yin, entspannt die Brust, den Bauch und das Becken. Man fühlt sich leicht, vertrauensvoll und offen. Die Kreuzungspunkte des Ren Mai sind Ma 1, KG 28 und Lu 7.
Weitere Beschreibungen des Ren Mai
Funktionen:
Meer des Yin
Meer der 6 Yin-Meridiane
Ernährt den Fötus
Reguliert die Fertilität
Bewegt Qi und Blut im unteren, mittleren und oberen San Jao (Dreifacherwärmer)
Einflussareale:
Abdomen – Thorax – Lunge – Hals – Gesicht
Pathologien des Ren Mai:
Hormonelle Störungen aufgrund von fehlerhafter Qi-Zirkulation
Funktionsstörung der Yin-Organe
Yin-Mangel
Spontane Blutungen in der Schwangerschaft
Männlicher Behaarungstyp (auch Chong Mai)
Inkontinenz und Eierstockzysten
Klimakterium: Hitzewallungen, Nachtschweiß, Migräne, Konzentrationsmangel, Depression, Herzklopfen, Angina Pectoris, leberbedingtes Hautjucken im Bereich der Labien oder Leisten, Ödeme;
Sodbrennen, Aufstoßen, Übelkeit und Erbrechen
Asthma
Meditation und Qigong
Das Konzeptionsgefäß ist zusammen mit dem Lenkergefäß eines der wichtigsten Meridiane für Meditation und Qigong. Beim „himmlischen Kreislauf“ wandert die Energie das Konzeptionsgefäß hinauf und am Lenkergefäß (Du Mai) hinab. Indem die Zunge an den Gaumen gehalten wird, werden Ren Mai und Du Mai verbunden und der himmlische Kreislauf schließt sich.
Teil 2: Lenkergefäß (Du Mai) und die anderen 6 Sondermeridiane
Quellen:
Kaptchuk, Ted. J (1998): Das große Buch der chinesischen Medizin.
Die Medizin von Yin und Yang in Theorie und Praxis;
Erle Montaigue/Wally Simpson: The Encyclopedia of Dim-Mak – The Extra Meridians, Points and More
Barbara Kirschbaum: „Die 8 außerordentlichen Gefäße in der traditinellen chinesischen Medizin.“
Nicola Schlott: „Die Entstehung, Verlauf und Bedeutung der 8 Qi Jing Ba Mai
Wen Mei Yu: Chi Gung – Taoist Secrets of Fitness and Longevitiy