Der Begriff Schröpfen hat im Deutschen eine weniger schöne Bedeutung, und wenn man sich die Schröpftechnik in der Chinesischen Medizin anschaut, sieht diese im ersten Moment auch nicht sehr appetitlich anders.
Ein bekanntes chinesisches Sprichwort sagt allerdings:
„Mit Akupunktur und Schröpfen kann man mehr als die Hälfte an Erkrankungen behandeln“
Im Gegensatz zur Akupunktur ist das Schröpfen weniger verbreitet, obwohl diese Technik bereits vor 3000 Jahren z.B. zur Behandlung von Tuberkulose angewendet wurde. Sowohl in der östlichen als auch in der westlichen Kultur hat sich das Schröpfen aus der schamanischen Praxis entwickelt, da Schamanen der Meinung sind, dass Krankheiten und Gebrechen aus dem Körper herausgezogen werden können.
Nachdem chinesische und frühere sowjetische Akupunkteure die Methode erforscht und deren Effektivität bestätigt haben, wurde Schröpfen in den 1950er Jahren als offizielle Therapiemethode in chinesischen Krankenhäusern eingeführt. Eingesetzt wurde Schröpfen allerdings schon vorher zur Unterstützung in der traditionellen chinesischen Praxis. Die Methode wurde auch in vielen anderen Kulturen eingesetzt, vom antiken Ägypten über Griechenland bis hin zu Indien. Schröpfen hat in den letzten Jahren im Westen an Beliebtheit zugenommen. Sogar Berühmtheiten, wie Gwyneth Paltrow, Schwimmer Michael Phelps, und Schauspieler*innen der Serie „Friends“ haben die Vorteile dieser chinesischen Schröpfmethode ins öffentliche Bewusstsein gebracht.
Was ist Schröpfen?
Schröpfen in Europa ist eine Technik zur Ab- und Ausleitung im Bereich der Humoralpathologie (Krankheitslehre von den Körpersäften).
Die verschiedenen Techniken sind:
• Statisches Schröpfen, sog. „trockenes Schröpfen“
• Schröpfkopfmassage
• Blitz-Schröpfen
• Blutiges Schröpfen
• Nadelschröpfen
• Moxa-Schröpfen
• Wasser-Schröpfen
• Schröpfen mit maschinell-erzeugtem Unterdruck
Beim Schröpfen gibt es drei Varianten von Gläsern:
- Schröpfgläser: Glasholkugeln mit großer Öffnung
- Vakuumgefäße: Aus Glas oder klarsichtigem Plastik mit Gummiballon (mit oder ohne Ventil) oder einer Vakuumpumpe (optional mit Magnetstäben)
- Sonstige Gefäße: Becher aus Ton oder einfache Glasgefäße (z.B. Einmachglas), präparierte Segmente aus Bambusrohr oder Ziegenhörner (insb. im ländlichen Afrika)
Glasschröpfköpfe sind der Klassiker in der Chinesischen Medizin. Weitere Techniken zum Ausleiten neben Schröpfen sind Aderlass, Braunscheidtieren und die Blutegelbehandlung.
Wie funktioniert Schröpfen?
Beim Schröpfen wird auf bestimmten Bereichen der Körperoberfläche ein regional begrenztes Vakuum erzeugt. Dieses Vakuum entsteht durch Erwärmung der Luft im Glas. Platziert man das Glas auf dem Körperteil, wird die Haut vom Vakuum angezogen. Man unterscheidet zwischen leichtem, mittlerem und starkem Schröpfen, je nachdem, wie viel Druck erzeugt wird. Das Glas wird entfernt, indem man eine Seite anhebt und Luft hineinlässt.
Wie wirkt Schröpfen?
Aus bio-medizinischer Sicht hat das Schröpfen verschiedene Effekte:
1. Reaktion der Haut:
Die Haut wird gedehnt, entspannt und gerötet. Der Patient empfindet dies als wohltuende Wärme.
2. Mechanische Effekte:
Durch Verschiebung von Gewebe gegeneinander Auflösung von Verklebungen und pathologischer Crosslinks. Diese pathologischen Querverbindungen in Bindegewebe und Faszien entstehen aufgrund längerer Ruhigstellung anpassungsbedingt gebildeter, wasserunlöslicher, struktureller Veränderungen, die die Beweglichkeit deutlich einschränken.
3. Durchblutungssteigerung:
Viele hautstimulierende Therapien bilden lokale Hämatome und lösen diese wieder auf. Damit werden Unterbrechungen und Stauungen im Blutfluss aufgelöst und entzündliche Blutergüsse in den Gefäßen verhindert.
4. Effekte auf das Nervensystem:
Experimente an der Kobe Universität in Japan haben bestätigt, dass Schröpfen die sensorischen Nerven der Haut stimuliert. Die Behandlung des Rückens beispielsweise hat Auswirkungen auf das autonome Nervensystem sowie auf die verschiedenen Organe, die seiner Kontrolle unterstehen.
5. Effekte auf das Immunsystem:
Studien ergaben, dass durch Schröpfen die Funktion der Schweiß- und Talgdrüsen und die Nährstoffzufuhr in der Haut verbessert wurden. Über den vermehrten Schweiß werden Toxine ausgeschieden. Außerdem wird die Zahl der roten und weißen Blutkörperchen erhöht und saures Blut wird neutral oder alkalisch.
Weitere Wirkungen:
• Aktivierung des Stoffwechsels in der Zelle.
• Anregung des Zuflusses von roten und weißen Blutkörperchen
• Verbesserung der Mikrozirkulation von Blut, Lymphe und interstitiellen Flüssigkeiten
• Ableitung eines lokalen pathologischen Lymphstaus
• Reduzierung des Tonus der darunterliegenden Muskulatur
Vergleichbar mit einer Tiefenmassage wird die Blutzirkulation angeregt, Faszien und verbundenes Gewebe gelockert.
Die Sichtweise der Chinesischen Medizin
Ganz allgemein formuliert kann man sagen, dass Energieblockaden beseitigt und der Qi-Fluss wieder angeregt werden sollen:
• Aktivierung von Akupunkturpunkten
• Beeinflussung und Regulation von Organen und Funktionskreisen durch die spezifische Reizung eines Akupunkturpunktes
• Lösen lokaler Stagnationen und Schmerzen
• Aktivierung der Zirkulation von Qi und Blut in den Leitbahnen/Meridianen
• Ein lokales Fülle-Syndrom (Energiestau) wird reduziert.
• Ausleiten pathogener Faktoren, v. A. Wind, Kälte und Feuchte, z.B. bei Erkältungskrankheiten.
• Zur Ausleitung von trübem Blut (lokales Stechen)
Beim Schröpfen können je nach Intensität der Ansaugung und Menge der Energieblockaden Hämatome und oberflächliche Wunden entstehen. Gemäß der TCM ist dies ein wünschenswertes Ergebnis. Man geht davon aus, dass damit Gifte und Blockaden erfolgreich entfernt wurden. Deshalb kann aus TCM-Sicht das Schröpfen auch für diagnostische Zwecke verwendet werden.
Schröpfen zur TCM-Diagnose
Je nach Patient und Körperteil hinterlässt das Schröpfen unterschiedliche Schröpfmarkierungen, die sich unterschiedlich lang halten.
Starke Schröpfmarkierungen sind ein Zeichen von Blut- und Qi-Stau:
• Durch die Qi-Stagnation zirkuliert das Blut weniger und kommt langsamer bei den Kapillaren an
• Wind-Kälte-Feuchtigkeit hindert einen guten Blutfluss. Ansammlung von Feuchtigkeit oder Schleim: das Blut zirkuliert dadurch weniger gut und staut sich an.
• Blut-Hitze: das Blut ist „kochend“ und bereit auszufließen
Entsprechend der Stelle dieser Schröpfmarkierungen kann man Rückschlüsse vom betroffenen Hautsegment auf das entsprechende Organ ziehen. Bei einer Erkältung beispielsweise sind Markierungen auf dem Bereich der Lunge nach mehreren Tagen noch erkennbar. Bei einer Milz-Schwäche sind sie auf dem Bereich der Milz zu sehen.
Wenige Schröpfmarkierungen hingegen sind erkennbar bei:
• Blut-Schwäche: das Blut ist nicht in der Lage, an den Extremitäten oder an der Oberfläche kraftvoll zu fließen
• Qi-Schwäche: es ist weniger Blut in der Peripherie vorhanden, was sich in Hautblässe zeigt. Dies kann auch von einer chronischen Muskelverspannung kommen.
• Feuchtigkeit auf den Schröpfgläsern ist oft ein Zeichen für innere oder äußere Ansammlung von Feuchtigkeit.
So kann man durch Beobachtung der Schröpfergebnisse wertvolle zusätzliche Informationen über innere Zustände erhalten.
Welche Nebenwirkungen gibt es beim Schröpfen?
• Bei unblutigem Schröpfen: Einblutungen ins Gewebe (Hämatome), die innerhalb von wenigen Tagen resorbiert werden.
• Bei blutigem Schröpfen können oberflächliche Wunden entstehen.
• Spannungsbläschen bei empfindlicher Haut
• Schröpfen im oberen Rücken: leichte Blutdrucksteigerung möglich.
• Schröpfen unterhalb LWK 4: leichte Blutdrucksenkung möglich.
Wann sollte Schröpfen nicht angewendet werden?
• Bei einer Schwangerschaft nicht auf Bauch oder Rücken
• Bei dermatologischen Geschwüren oder auf Ödemen
• Bei hohem Fieber mit Krampfneigung
• Bei bekannter Epilepsie
• Auf großen Arterien oder Venen
• Auf Narben
• Auf Zonen, die mit Tumoren verbunden sind
• Bei Lungentuberkulose
Blutiges Schröpfen sollte nicht angewendet werden bei: Hämophilie (Blutgerinnungsstörungen), Neoplasmen, niedrigem Blutdruck (Hypotonie), anämischen Zuständen, Menstruation, Flüssigkeitsdefiziten, Herzrhythmusstörungen, Koronarinsuffizienz, aber auch bei energetischen Mangelzuständen.
Anwendungsgebiete für das Schröpfen
Schröpfen kann sowohl zur Prävention, als Wellnessbehandlung und zur Leistungsoptimierung angewendet werden. In der Regel wird diese Technik bei konkreten Beschwerden bzw. Schmerzzuständen eingesetzt:
Muskulo-skeletale Schmerzsymptome (Knochen-Muskel-Zusammenspiel)
Hals- und Schulterschmerzen
Schultergelenksschmerzen
Ellenbogenschmerzen
Unterarm- u. Handgelenksschmerzen
Brustschmerzen / Schmerzen im oberen Brustbereich
Schmerzen im oberen Rücken
Schulterblattschmerzen
Schmerzen im unteren Rücken
Oberschenkelschmerzen
Knieschmerzen
Unterschenkelschmerzen
Fußgelenkschmerzen
Beschwerden in der Bauchgegend:
Blähbauch
Verdauungsbeschwerden (Verstopfung oder Durchfall)
Menstruationsbeschwerden
Fertilitätsbehandlung (Unfruchtbarkeit)
Menopausen-Symptome
Beschwerden in der Lunge oder Haut:
Asthma
Akne
Psoriasis
Allergien (saisonal)
Allgemeines Empfinden & Psyche:
Ängste & Stress
Müdigkeit
Schlaflosigkeit
Schröpfen vom Major Pectoralis Muskel ( Akupunkturpunkt Lu-1)
Das Schröpfen auch in der heutigen Zeit Beachtung geschenkt werden sollte, zeigt der Bericht von der Anästesie-ärztin Stephanie Chang aus New York. Ihre (Selbst)-behandlung bei den ersten Anzeichen einer Covid-19 Erkrankung beinhaltete das Schröpfen von dem Areal um den Akupunkturpunkt Lu-1.
Das Behandlungsprotokoll mit Akupunktur und dem gezielten Einsatz von Schröpfköpfen zeigt das praktische Kombinieren dieser beiden Techniken.
Quellen & Studien: Schröpfen
Stephanie I. Cheng: “Medical Acupuncture as a Treatment for Novel COVID-19-Related Respiratory Distress: Personal Experience from a Frontline Anesthesiologist”
Published Online:16 Feb 2021: https://doi.org/10.1089/acu.2020.1467
Claudia Focks (HG): Leitfaden Chinesische Medizin, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH; 6. Edition (2010)
Andere Blogbeiträge über das Schröpfen:
Schröpfen und Promis:
Studien
Zwei Reviews (Aktualisierungsstudien) die einzelne Studienergebnisse sammeln und auswerten zeigen vor allem Fortschritte beim Studiendesign und der Ausführung. Hier geht es um Studie bei dernen Schröpfen zur Behandlung akuter u. chronischer Schmerzen evaluiert wurde.
Die Studie mit Edzard Ernst als Co-Autor (von 2011) kam zu dem Entschluss, dass trotz der positiven Ergebnisse, der wissenschaftliche Nachweis aufgrund des Studiendesigns und dem Verzerrungspotential (Bias) bei den Durchführungen sehr gering ist.
7 Einzelstudien wurden ausgewertet.
4 hatten ein hohes Risiko an Verzerrung der Ergebnisse.
Deswegen heißt es lapidar:
“Reliability of evidence is limited.”
Jong-In Kim, Myeong Soo Lee, Dong-Hyo Lee, Kate Boddy, Edzard Ernst, “Cupping for Treating Pain: A Systematic Review”, Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, vol. 2011, Article ID 467014, 7 pages, 2011. https://doi.org/10.1093/ecam/nep035
Die Studie mit Alan Bensoussan als Ko-author hatte einen größeren Umfang:
16 Studien (mit insgesamt 921 Teilnehmern)
6 Studien davon wurden unter der Kategorie „low-level bias of risk“ eingestuft.
Sixteen trials with 921 participants were eligible and included. Six trials were assessed as low risk of bias, another six trials were of unclear risk of bias, and the remaining four trials were of high risk of bias. Pain was related to three acute and seven chronic diseases.
Huijuan Cao and Xun Li and Xue Yan and Nissi S. Wang and Alan Bensoussan and Jianping Liu, “Cupping therapy for acute and chronic pain management: a systematic review of randomized clinical trials”,Journal of Traditional Chinese Medical Sciences,
Volume 1, Issue 1, 2014, pages 49-61. https://doi.org/10.1016/j.jtcms.2014.11.003
Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen:
- Positiver Effekt des Schröpfens gegenüber der Warteliste bzw. Wärme Therapie ist nachweisbar.
- Akupunktur und Schröpfen haben eine bessere Wirkung als nur Schröpfen